OLD SCHOOL – TORTE von Margit Heumann

Spielend eine Old School-Torte backen
Ein Rezept aus meiner Voradlberger Kinderstube

Zutaten:

Viele Kinder

Eine Oma

Ein kleiner Bruder

Freie Natur zu jeder Jahreszeit

Eine unbefestigte Dorfstraße

Bachbett, Holzlagerplatz, Müllhalde

Diverses Dekor

Man nehme an die fünfzehn Kinder zwischen drei und zehn Jahren und vermenge sie unter fleißigem Rühren in freier Natur. Sollten noch Klumpen vorhanden sein, dasselbe beharrlich fortsetzen, bis eine geschmeidige Masse entsteht. Für Verschteckatis und Fohatis quirle man Abzählverse hinein wie sie jede gut sortierte Speis bereithält, Ich und du Müllers Kuh odr Zeha Meter vor mir, zeha Meter hinter mir. Desgleichen sprudle man Seilhüpfen und Kreisspiele mit frisch geernteten Reimen ab wie Goldne goldne Brücke oder Rot weiß rot, der Hitler der ist tot. Für Ballspiele ziehe man mit dem Schuhabsatz Linien in die gestaubte Dorfstraße und schaffe so die perfekte Form für Tschutta, Hasaschüßa und Völkerball. Im Wettkampf der Tretroller und Fahrräder erhitze man Glieder und Gemüter, lasse keinesfalls etwas anbrennen, angesengte Nasen, Knie und Ellbogen sind jedoch billigend in Kauf zu nehmen.

Der Winter hält naturnahes Eiskonfekt bereit, Schneemänner bauen, Schirennen auf dem Dorfhügel, Bergstraßen herunter rodeln, Schneeballschlachten, Schlefera im isiga Baach. Die Ingredienzien einzeln in Stanniolförmchen füllen und im Schnee kaltstellen bis d’Nasa und Pfüaß igfrora und Pfinger stiief wora sind. Dazu passt Kakao, heiß und recht süß am warmen Ofen serviert.

An Regentagen dämpfe man Langeweile durch Kartenspielen mit der Oma bim Sunigla, Land-us-peitscha, Lüga und Jassa. Oder man lasse sich von ihrer Erzählkunst verführen und goutiere mit angehaltenem Atem Märchen, Sagen und Geschichten, von ihrem Schemel auf Augenhöhe serviert. Später als Selbstversorger tauche man ins Dunstbad der Bücherwelten ab, glaciere seine Welt mit Prinzessinnen und Feen, backe sich Buben- und Mädchenträume, stürze in Abenteuer, spicke mit Gefahr, vergieße mit Hokuspokus, rote Backen wie mit glühendem Schäuferl gebrannt und weggetreten und nicht mehr ansprechbar inklusive.

Zum Puppenspielen mit den Busenfreundinnen nehme man seinen kleinen Bruder, überziehe ihn mit süßen Worten aus gesponnenem Zucker, bis er zum Baby abgehäutelt und gut ist und in den Puppenwagen passt, strampelt, lallt, weint und sich wickeln, herumtragen und füttern lässt. Sollte er zäh sein, empfiehlt sich vorheriges Einlegen in Aussprüche wie „Du bischt dr Allerliabscht, wenn’d mettuascht “, bei größerer Bockigkeit das mehrtägige Einbeizen mit „Du kaschas halt net, du bischt noch z’kli“. Bei totaler Verweigerung weiche man ersatzweise auf Lieblingspuppen aus.

Auf dem Lagerplatz der Schreinerei richte man aus Holzresten Betten, Tische und Bänke für Müetterlix und Vätterlix. Zum Gelingen ist wichtig, dass die Väter meist abwesend, die Mütter ständig überfordert und die Gefoppten sind, und die Kinder keinesfalls lieb und brav sondern aufsässig und ungenießbar und ekelhaft. „Bösi Mama, blödi Mama“ verleiht diesem Gericht seine ganz besondere Würze. Ungesehen zwischen den hohen Bretterstapeln lässt sich bim Dökterlix durch Schälen, Auslösen, Auspacken und Abziehen auch leib-haftige Neugier stillen, naturrein und unschuldig und doch nicht ohne eine Ahnung von Schlecht.

Werkstatt und Schuppen der Väter liefern sämtliche Zutaten für den Hüttenbau, man befestige Pflöcke und Bretter zwischen Stämmen und in passenden Astgabeln, überziehe das Dach mit natürlichem Grün, für die Füllung bediene man sich an der nahen Müllhalde, wo von der Blumenvase über Flaschen und Kochtöpfe bis zum alten Radio alles zu finden ist. Wettkochen mit anderen Hüttenbauern erhöht den Gusto, man lasse sich dabei nicht die Butter vom Brot nehmen, verteidige seinen Hausbau mit Zähnen und Klauen, stritta, fluacha, aaschpööza und Stöa wörfa, das volle Programm. Kaum herrscht Frieden, fällt das Baumhaus in sich zusammen.

An Sommertagen verlege man die Masse der Kinder in das wildbachverbaute Bachbett. In den kaum metertiefen Gumpa bringe man sich gegenseitig zum Schwimmen. Todesmutige Sprünge von den Wehrstufen steigern den tollkühnen Nachgeschmack und sind die Garprobe für Helden. Von den Uferböschungen beschaffe man trockene Zweige und Treibholz, damit schüre man zwischen den Steinen kleine Feuer mit gehöriger Hitze und nasche vom Erwachsensein, Niala röcha, wichtig toa, mittanand go.

Für besondere Anlässe gestalte man aus Wäscheleinen und Leintüchern eine Bühne, auf der sich die köstlichsten Leckerbissen bereiten lassen. Zu diesem Zweck mische man Krepppapierschärpen und ausgeradelte Goldpapierkronen mit allem, was der Mottenschrank der Eltern zu bieten hat, Stöcklischuah, Dirndlschöß, Leader-hosa, Pelzkräga, Hüat. Nach fleißigem Diskutieren über Speisenplan und Rollenverteilung kredenze man dann Grimms Märchen, lasse das Stück mehrmals aufwallen bis kurz vor dem Garwerden, wenn der nicht sattsam abgebrühte Prinz sich schon wieder weigert die Prinzessin zu küssen, immer verderben die Buben den Brei. Selber tischen sie fades Kasperltheater auf, bestehend aus Prügelszenen mit dem Krokodil und ständig aufgewärmtem Tri tra trallala – aber fünfzig Groschen Eintritt kassieren!

Zum Schluss das Gemenge sorgfältig abdecken und gehörig ruhen lassen. Nach einer üppigen Verjährungsfrist von mehreren Dekaden bestreiche man die einzelnen Schichten mit einer Krem aus Subjektivität und Idealisierung, staple sie hübsch übereinander und ziere nach Belieben mit geriebener Übertreibung, schiftelig geschnittenen Floskeln oder feinblättrigem Pathos. Damit das Gericht besonders schmackhaft wird, streue man vor dem Servieren reichlich Zucker der verklärenden Erinnerung darüber.

An Guata mettanand.

Eure Margit Heumann

 

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